Politische Diskussion
"Vielfalt & Offenheit - Quo vadis Deutschland?"
Donnerstag, 24. August 2017, 18:00 Uhr
Arbeitskammer (Großer Saal),
Fritz-Dobisch-Straße 6, 66111 Saarbrücken
Sind Migranten in den Parteien angemessen vertreten? Doppelte Staatsbürgerschaft, ja oder nein? Und was sagt eigentlich das jeweilige Parteiprogramm über Vielfalt, Migration und Integration? Das und mehr diskutierten vier saarländische Bundestagskandidaten am 24. August im Großen Saal der Arbeitskammer in Saarbrücken. Ramesch e.V. hatte sie aus Anlass der bevorstehenden Bundestagswahl zur Podiumsdiskussion 'Vielfalt&Offenheit - Quo Vadis Deutschland?' eingeladen. Es debattierten die Stadträtin und Bundestagskandidatin Josephine Ortleb (SPD), der Sprecher des Ortsverbands Saarbrücken-Mitte und Bundestagskandidat Patrick Ginsbach (Bündnis 90/Die Grünen), der Kreisvorsitzende und Bundestagskandidat Roland König (FDP) sowie die Vorsitzende des Ortsverbands Bischmisheim Dr. Christel Weins (CDU).
Dem Publikum zugewandt mussten die vier Politiker sich zum einen den mit viel Witz und Fachkenntnis vorgetragenen Fragen des Moderators Prof. Dr. Dirk van den Boom stellen. Der Politikwissenschaftler ist Experte für Migrations- und Entwicklungspolitik am Institut für Politikwissenschaft in Münster. Doch auch das Publikum war dazu aufgefordert worden, sich mit seinen Fragen in die Diskussion einzubringen, wovon das bunt gemischte Publikum in der zweiten Hälfte der Debatte auch regen Gebrauch machte - und dabei nicht nur Fragen formulierte, sondern auch viel Interessantes über eigene und ganz konkrete Erfahrungen mit den diskutierten Themen zu berichten hatte.
Lebhafte Diskussion zwischen Podium und Moderator
Mohamed Maiga, Vorstand von Ramesch e.V., gab der Diskussion ein einleitendes Vorwort. Neben der Begrüßung der Gäste gehörte dazu auch eine Bitte an die Teilnehmer, nämlich das Thema der Diskussion nicht allein auf den Islam zu verkürzen.
Der Moderator eröffnete die Diskussion mit einer Frage an Frau Weins. Van den Boom wollte von der CDU-Politikerin wissen, ob Migranten denn ihrer Meinung nach in der eigenen Partei angekommen seien. Nach einigem Überlegen räumte sie ein, dass es sich bei vielen Parteigremien der CDU um eine "Monokultur" handele - Personen mit Migrationskultur also eine absolute Seltenheit sind. Dies sei aber nicht die Schuld ihrer Partei, wie sie betonte. Und fügte hinzu, dass sie selbst und ihre Partei sich auch eine größere personelle Vielfalt wünschen würden. Der Grüne Patrick Ginsbach und die SPD-Kandidatin Ortleb teilten beide die Meinung, dass die eigene Partei bei diesem Thema besser als die CDU abschneidet. Zumindest auf kommunaler Ebene sah Ginsbach aber noch Luft nach oben. Die SPD-Kandidatin Ortleb verwies auf die SPD-Arbeitsgemeinschaft "Migration und Vielfalt", die sich mit ebendieser Frage auseinandersetze. Auch der FDP-Kandidat König wurde vom Moderator natürlich nicht verschont und als auch er einräumte, dass die FDP in Fragen der interkulturellen Öffnung noch Nachholbedarf habe, schob Moderator Van den Boom gleich eine Frage hinterher: Ob es denn eine Strategie gebe, um daran etwas zu ändern? Bisher keine, antwortete König, und seine Partei habe in den letzten Jahren leider andere Probleme gehabt, wie er lachend zu bedenken gab - und damit wohl auf die lange Zeit schlechten Umfragewerte abzielte.
Die nächste Runde der Diskussion begann mit den Wahlprogrammen der Parteien, entwickelte sich aber schnell zu einer Diskussion über Einwanderungsgesetz und doppelte Staatsbürgerschaft. Auch hier geriet die CDU-Politikerin Weins wieder in die Defensive, während sich die anderen Kandidaten an den Positionen der CDU abarbeiteten. Weins votierte zwar selbst für ein Einwanderungsgesetze, räumte aber ein, dass ihre Partei hier noch Diskussionsbedarf habe. Die restlichen Kandidaten sprachen sich im Namen ihrer Partei für ein Einwanderungsgesetz aus.
Doch insbesondere das Thema doppelte Staatsbürgerschaft erhitzte die Gemüter. Weins gab zu bedenken, dass die doppelte Staatsbürgerschaft eben auch ein Loyalitätsproblem darstellen könne. Gerade "das Problem Türkei" habe doch gezeigt, dass die doppelte Staatsbürgerschaft nicht unproblematisch sei. Eine Position, die beim restlichen Podium auf Unverständnis stieß. Der Kandidat der Grünen warf CDU und AFD vor, dass diese ein Problem damit hätten, "wenn man sich nicht 100 Prozent eindeutschen will." Auch FDP-Mann König wurde bei dem Thema emotional und betonte , dass er die Einwände der konservativen Seite nicht nachvollziehen könne.
Abschließend diskutierte man auf dem Podium über den Sinn von Integrationskursen und die Frage, wie Integration am besten gelingen kann. Die Sinnhaftigkeit von Integrationskursen stellte nur der Kandidat der traditionell staatskritischen FDP infrage und bezeichnete sie als "praxisfern", Integration brauche vor allen Dingen Zeit, so König. Aus seiner Perspektive seien "Sprache und Grundgesetz" den einzig notwendigen Ordnungsrahmen für gelungene Integration, wie er ausführte. Die Kandidaten von SPD und Grünen, Ortleb und Ginsbach, betonten hingegen, dass Integration kein einseitiger Prozess sei. Die Gesellschaft müsse den Migranten eben auch Angebote machen und Verständnis zeigen.
Fragen und Erfahrungsberichte aus dem Publikum
Ein Rentner von der Saarbrücker Folsterhöhe machte den Anfang: Fragen hatte er allerdings nicht mitgebracht, stattdessen saß ein minderjähriger afghanischer Flüchtling mit ihm im Publikum, der "jederzeit damit rechnen muss, dass er abgeschoben wird", wie der Mann Podium und Publikum wissen ließ. Das nahm er zum Anlass, um die Kandidaten um ihre Unterstützung zu bitten, die ihrerseits sein Engagement lobten. Die erste konkrete Frage stellte eine junge Frau: Wie die Kandidaten denn die Finanzlage der organisierten Zivilgesellschaft verbessern wollen? Die in Regierungsverantwortung stehenden Parteien CDU und SPD betonten hier den Erfolg des Erreichten, die SPD-Kandidatin Ortleb verwies zudem auf das Bundesprogramm "Demokratie leben" und bezeichnete die Vereine als wichtige Integrationsmotoren.
Zum Abschluss der vielfältigen Diskussion kam ein junger Mann aus dem Publikum noch auf das Thema Entwicklungspolitik zu sprechen: Er wollte von den Politikern wissen, wie diese zur Problematik des sogenannten Brain-Drains - also der Abwanderung von hochqualifizierten Kräften aus den Entwicklungsländern - stehen. Der FDP-Mann König erlaubte sich hier ein salomonisches Urteil. Er sehe zwar die Gefahren, aber eben auch die Möglichkeiten, so König. Diesem Urteil schloss sich der Rest des Podiums im Großen und Ganzen an und Moderator Van den Boom beendete die Diskussion, nach vielen spannenden und anregenden Debatte, mit den Worten "Einigkeit auf dem Podium!"